Hans Thomas Wolf Rhenaniae Würzburg, Franconiae München
CORPS - Das Magazin Ausgabe 2/2021
Wer "leicht" schreibt, hat es schwer, zumindest im modernen Literaturbetrieb. Beachtung und Anerkennung in den Feuilletons und Kulturredaktionen finden heute bevorzugt Autoren, die grüblerisch die letzten Menschheitsfragen abhandeln, selbst wenn das eindimensional und langweilig geschieht. Wer dagegen einfach "nur" Geschichten erzählt, fantasievoll, facettenreich, vielleicht sogar unterhaltsam und sprachlich brillant, der wird gern als literarisches Leichtgewicht abgetan - und rasch vergessen. So erging es bald nach seinem Tod im Jahr 1998 auch dem österreichisch-rumänischen Schriftsteller und Journalisten Gregor von Rezzori. Zu Lebzeiten viel gelesen, wenn auch damals schon von der deutschen Kritik eher verhalten besprochen, in Funk und Fernsehen präsent und als Gelegenheitsschauspieler sogar in einem guten Dutzend Filmen aufgetreten, kennt heute selbst unter Belesenen kaum noch jemand seine Romane und Erzählungen.
Ebenfalls wenig bekannt ist Rezzoris Zugehörigkeit zum Corps Schacht Leoben. Als junger Student des Bergwesens an der steirischen Montanuniversität war er im November 1931 aktiv geworden und immerhin drei Semester geblieben. Was ihn zum Eintritt bewog, schildert Rezzori recht anschaulich in seiner Autobiografie "Mir auf der Spur": "Meine glühende Begeisterung galt dem schwarz-grün-goldenen Ordensband des Corps Schacht. Es ist vielleicht schon einiges geklärt, wenn ich dazu sage, dass es - 'Couleur' genannt - nur zum steifen Hemdkragen angelegt werden durfte. Allenfalls hatten Inaktive und Alte Herren das Recht, das Band auch zum weichen Hemd zu tragen, allerdings nur mit dem 'Tönnchen', nie mit Mütze oder gar dem 'Stürmer'. Der war aus weißer Seide, vorn abgeplattet und mit dem Corpszirkel bestickt und gab dem Haupt die Form einer Odol-Flasche. Ein schräger Blick darauf hatte eine Forderung auf schwere Säbel zur Folge. Ganz mein Fall." Und weiter: "Das Corps Schacht war die renomierteste der Leobener schlagenden Verbindungen, Corps wie Burschenschaften. Bei keiner von ihnen einzutreten, hätte eine Charakterstärke erfordert, die ich nicht aufzubringen vermochte."
Während seiner Fuchsenzeit focht Rezzori drei Partien auf die Farben des Corps Schacht. Er selbst schildert das Geschehen auf dem Paukboden recht eindrücklich: "Auf das Kommando, 'Legt euch aus!' - , 'Sie liegen aus!' wurden den Paukanten die schwer bepackten Arme mit den Schlägern übern Kopf geworfen. Auf 'Los!' ging's los. Gefochten wurde die sogenannte 'offene' Schule im Gegensatz zur 'versetzten', das heißt, die Hiebe waren einfach wie's Einmaleins. Weil überdies Ripostzwang war, also jeder Hieb des Gegners sofort erwidert werden musste, so kam dabei ein hastiges Gehacke der aufeinanderklirrenden Schläger heraus, bei dem die hinter ihren vergitterten Brillen blinden Fechter nur wünschen konnten, dass der Gegner mehr von den Hieben aufs Dach bekam als er selbst. Wehe, wenn 'gekniffen' wurde. Das geringste Wegzucken vor oder unter einem Hieb war schlimmer als jeder andere Ehrverlust."
Fuchs Rezzori muss diesen Anforderungen wohl gerecht geworden sein, denn als ihm im Dezember 1932 der "erbetene Austritt erteilt" wird, verzeichnen die Annalen der Schachter keinerlei ehrenrühriges Verhalten ihres nunmehrigen Excorpsbruders. Der Grund für Rezzoris Ausscheiden lag auch nicht am Corps, sondern am Studium: Der junge Musensohn, bei dem schon die Conaktiven eine ausgeprägte künstlerische Ader bemerkt hatten, hatte erkannt, dass er für die eher nüchternen Montanwissenschaften weder Neigung noch Talent besaß. So folgte mit Wien die nächste Station auf Rezzoris - wie sich zeigen sollte, lebenslanger - Wanderschaft. Offiziell studierte er an der dortigen Universität Medizin und Kunstgeschichte. Er selbst gestand allerdings Jahrzehnte später ehrlich ein, das Dasein eines jugendlichen Dandys geführt zu haben. Tatsächlich vertändelte der vorgebliche Student seine Tage in Kaffeehäusern, verbrachte lange Stunden an der Bar des noblen Hotels "Bristol" - aus Kostengründen den ganzen Abend über bei einem einzigen Cocktail -, oder trieb sich in "zweifelhaften Kreisen", also im Halbweltmilieu, herum. Seinen Lebensunterhalt bestritt er aus Zuwendungen der Eltern oder als Gespiele vermögender Damen. Akademische Weihen ließen sich auf diese Weise freilich genauso wenig erwerben wie in Leoben, und so kehrte Rezzori nach Rumänien zurück, um sich dort endlich seiner wahren Neigung, dem Zeichnen und der Grafik, zu widmen. Zunächst hatte er in seiner alten Heimat jedoch den Militärdienst abzuleisten, ehe er sich in Bukarest niederließ. Das in manchen Quellen erwähnte Kunststudium in der Hauptstadt Rumäniens sei allerdings in Wahrheit, so wiederum Rezzori selbst, ein Job als Schaufenstergestalter und Dekorateur gewesen, der ihn mehr schlecht als recht ernährte.
Der ständige Wechsel, eine ausgeprägte Rast- und Ruhelosigkeit hatten bereits die Kindheit Rezzoris gekennzeichnet: 1914 wird er in Czernowitz, damals ein Außenposten des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs, geboren; die Familie - der Vater ist höherer Verwaltungsbeamter - zählt zur lokalen Führungsschicht. Der Knabe Gregor besucht Gymnasien in Kronstadt, Fürstenfeld und Wien, ehe er Student wird. Nach dem Intermezzo als Schaufenstergestalter in Bukarest kehrt Rezzori zunächst nach Wien zurück, aber bereits 1938 siedelt er nach Berlin über. Hier scheint er zumindest beruflich endlich Tritt zu fassen: Rezzori macht das Schreiben zu seinem Beruf und hat rasch Erfolg. Gleich sein Erstling, der Roman "Flamme, die sich verzehrt", wird zum Überraschungserfolg - plötzlich gilt Rezzori als vielversprechendes Talent.
Es folgt ein weiterer Roman der eher trivialen Art, ehe dieses hoffnungsvolle Talent als Autor eines Fortsetzungsromans in einer Illustrierten engagiert wird. Diese Tätigkeit übt er auch nach Kriegsausbruch aus, sogar als er, inzwischen verheiratet und Vater zweier Söhne, in Schlesien als Landwirtschaftseleve zum Einsatz kommt. Rezzori flieht mit seiner Familie vor der herannahenden Roten Armee gen Westen, wo er in einem Dorf nahe Hamburg mit seiner inzwischen auf drei Söhne angewachsenen Familie landet. Dort lernt er per Zufall einen Journalisten kennen - und damit beginnt die eigentliche Karriere des jungen Autors. Der neue Freund vermittelt Rezzori zum gerade gegründeten Nordwestdeutschen Rundfunk. Dort arbeitet er in rascher Folge in unterschiedlichen Ressorts: Politik, Kultur, Unterhaltung und Musik. Als Reporter berichtet er von den Nürnberger Prozessen, was ihm später peinlich sein wird, als Ressortleiter etabliert er erfolgreiche Vorläufer der heutigen Talkshows.
Parallel zu diesen Aktivitäten arbeitet Rezzori an "ernsthafter" Literatur, die keine seichte Unterhaltung mehr sein soll. Nebenbei und eher aus einer Laune heraus verfasst er aber auch kleine, humoristische Erzählungen, die in Maghrebinien spielen, einem Land, das es laut dem Autor "nur in den Köpfen seiner Bewohner gibt". Und diese "Maghrebinischen Geschichten" werden Rezzoris erster großer Erfolg und sein wohl bis heute bekanntestes Buch. In den folgenden Jahren entstehen weitere, auch international erfolgreiche Arbeiten: "Der Tod meines Bruder Abel", "Denkwürdigkeiten eines Antisemiten", "Ein Hermelin in Tschernopol" oder "Blumen im Schnee" erreichen hohe Auflagen und begründen seinen literarischen Ruhm. Vor allem im Ausland, Frankreich, Italien, Spanien oder den USA, stoßen seine Bücher auch in der "seriösen" Literaturszene auf enorme Resonanz. Der renommierte "New Yorker" druckt die "Denkwürdigkeiten", für den Literaturwissenschaftler George Steiner gehört das Buch sogar zu "den wenigen, die von der deutschen Nachkriegsliteratur übrigbleiben" werden und "Blumen im Schnee" wird vom Autor und Historiker Michael Ignatieff 1988 in England sogar zum Buch des Jahres erklärt.
Die deutsche Kritik hatte zum Schriftsteller Rezzori dagegen meist ein gespanntes Verhältnis, die Anerkennung als ernst zu nehmender Autor blieb ihm weitgehend untersagt. Allerdings gibt Rezzori durch sein schillerndes Privatleben auch ständig Anlass zu Klatsch und Tratsch: Er hat das Image des Playboys und Salonlöwen und passt nicht in die starren Schablonen von E- und U-Literatur. So schreibt Rezzori nach wie vor als Society-Journalist auch Gesellschaftskolumnen, und der Welt des Jetset, aus der er berichtet, gehört er selbst nur zu gern an. Seine erste Ehe scheitert ebenso wie seine zweite mit einer Münchner Malerin, sein Ruf als Frauenheld ist legendär, seine finanziellen Verhältnisse sind alles andere als solide. Er lebt jahrelang mit einem US-amerikanischen Fotomodel in Paris, zieht dann nach Rom, wo er mit seinen drei ehelichen und einem unehelichen Kind alleinerziehend in einer alten Villa haust. Und dann noch der Film: Rezzori schreibt Drehbücher, auch für internationale Produktionen, arbeitet mit Regisseuren wie Louis Malle oder Volker Schlöndorff zusammen, mit dem ihn eine persönliche Freundschaft verbindet. Der gut aussehende Rezzori tritt sogar vor der Kamera auf und glänzt dabei an der Seite von Weltstars wie Brigitte Bardot oder Jeanne Moreau - all das ist mit den Vorstellungen deutscher Literaturkritik vom "seriösen Autor" offenbar nicht vereinbar. Nach außen gibt sich Rezzori unbeeindruckt von der mangelnden Anerkennung. In Wahrheit leidet er jedoch lebenslang darunter, wie sein Freund, der Lyriker und Verlagsleiter Michael Krüger, vor Kurzem in der Neuen Zürcher Zeitung schilderte.
Nach zahllosen Eskapaden und Wirrungen findet schließlich aber auch Rezzori Ruhe und so etwas wie eine Heimat: 1965 lernt er Beatrice Monti della Corte kennen, eine wohlhabende italienische Galeristin, die 1967 seine dritte Ehefrau wird. Mit ihr lebt er fortan im toskanischen Donnini nahe Florenz, auf der griechischen Insel Rhodos oder in den USA. Rezzori beginnt selbst, sich mit moderner Kunst zu beschäftigen, und baut eine respektable Sammlung auf, arbeitet für renommierte Magazine und feiert im österreichischen Fernsehen Erfolge mit Society-Berichten, etwa dem Magazin "Jolly Joker". In den 1970er-Jahren näherte er sich wohl auch dem Corps Schacht Leoben wieder an, eine Bandverleihung kam allerdings nicht zustande.
Bis an sein Lebensende blieb Rezzori schriftstellerisch aktiv, so erscheinen 1994 das Buch "Greisengemurmel" und 1997 die Autobiografie "Mir auf der Spur". Gregor von Rezzori stirbt 1998 auf seinem toskanischen Landsitz, wo er auch begraben ist. Er hinterlässt ein Werk, in dem sich distanzierte Ironie und Spott mit Melancholie und Weltklugheit mischen, das kleine Begebenheiten schildert und große Zusammenhänge klarmacht, das tiefe Einsichten sowohl in die europäische Geschichte als auch den oft nur allzu banalen menschlichen Alltag vermittelt. Stets ist Rezzori ein schonungslos-ehrlicher Beobachter seiner selbst und seiner Zeitgenossen - und ein präziser Sprachkünstler obendrein. Ein Werk, das (wieder) zu entdecken sich lohnt.