Interview: Carsten Beck Germaniae München, Fotos: Christian Hofer
CORPS - Das Magazin Ausgabe 1/2023
Kaiserliche Hoheit, Ihr Vater hat einmal gesagt, der Politikerberuf sei in Ihrer Familie genetisch eingraviert. Wie groß ist der politische Einfluss der einst mächtigsten Herrscherfamilie Europas heute noch?
Es ist schon noch Einfluss vorhanden, aber natürlich nicht mehr im Begriff von Macht. Viele Mitglieder meiner Familie engagieren sich auch heute noch stark in der Politik. In meinem engsten Verwandtenkreis sind und waren zahlreiche Diplomaten, etwa der ungarische Botschafter am Heiligen Stuhl oder in Paris. Meine eine Schwester war georgische Botschafterin in Berlin, die andere Abgeordnete in Schweden. Sie sehen, am Politik-Gen könnte etwas dran sein.
Sie selbst waren Abgeordneter im Europäischen Parlament. Wie politisch aktiv ist denn die nächste Generation?
Da sieht man auch schon Ansätze. Neffen von mir sind zum Beispiel in Spanien politisch sehr engagiert. Mein Eindruck ist aber, dass viele in der kommenden Generation politisches Interesse entwickelt haben. Den Jüngeren ist schon klar, dass man sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen kann, sondern unsere Wertvorstellungen verteidigen muss. Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte - all das sind keine Selbstverständlichkeiten, wie wir in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen haben.
In Ungarn lebt man mit den Habsburgern, in Österreich von ihnen - sagte Ihr Bruder Georg. Wie nehmen Sie heute die sehr unterschiedlichen Verhältnisse der Republiken auf dem Gebiet der ehemaligen Donaumonarchie zum habsburgischen Erbe wahr?
Natürlich gibt es unterschiedliche historische Wahrnehmungen. Ganz allgemein stelle ich fest, dass die Akzeptanz des Namens Habsburg auch in Österreich stark gestiegen ist. Da hat sich in den vergangenen 40 Jahren, in denen ich hier lebe, einiges gewandelt. In Ungarn geht diese Akzeptanz vielleicht sogar noch ein Stückchen weiter.
An der Spitze der Paneuropa-Bewegung setzen Sie sich für ein geeintes, friedliches Europa ein. Wie gefährdet ist diese Idee durch den Ukrainekrieg jetzt?
Ich glaube, dass der Ukrainekrieg vor allem ein Krieg zwischen Ideen und Idealen ist. Das hat sich nun über Jahrzehnte angebahnt und das wurde auch nicht durch das Ende der UdSSR einfach wegreduziert. Immerhin bezeichnete Präsident Putin den Zusammenbruch des Sowjetreichs als größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Ob es um Moldawien oder freie Wege nach Königsberg geht: Zahlreiche Äußerungen Moskaus zeigen, dass sich Ziele und Auswirkungen des Konflikts nicht nur auf die Ukraine beschränken.
Ihr 2011 verstorbener Vater, Otto von Habsburg, warnte früh vor Wladimir Putin ...
Ja, wenn ich mir heute ein Video ansehe, in dem er Putin schon 2003 so eingeschätzt hat, wie er sich uns heute auch zeigt, dann finde ich diese Weitsichtigkeit schon sehr faszinierend. Er wurde damals dafür übrigens stark kritisiert.
Zu der Zeit träumte man noch vom Ende der Geschichte ...
Damals gab es Stimmen, die wollten die Armeen abschaffen, weil man Konflikte problemlos auf zehn Jahre im Voraus berechnen und dann das Militär ja wieder verstärken könne. Dafür, dass man das so weit voraussagen kann, waren am 24. Februar 2022 dann doch einige sehr von dem Angriff auf die Ukraine überrascht.
Die Paneuropa-Bewegung steht für ein christlich geprägtes Europa, was die real existierende Europäische Union eher weniger tut. Wie sieht Ihre Vision eines vereinten Europas aus?
Wir sind die älteste europäische Einigungsbewegung und waren sozusagen schon eine NGO, als es den Begriff NGO noch gar nicht gab. Wir haben uns immer darauf fokussiert, Europa als Ganzes zu betrachten. Das heißt konkret, dass die EU als Einigungsprojekt notwendige Erweiterungen bedenken sollte. Finanzielle Gründe allein können jedenfalls nicht dagegen sprechen, etwa die Balkanstaaten aufzunehmen. Die EU ist ja auch ein sicherheitspolitisches Projekt, und wie absurd es ist, dass gerade die Balkanstaaten nicht in der EU sind, zeigt sich allein daran, dass sie umgeben von Mitgliedstaaten sind. Aber hier liegt übrigens auch mein Hauptkritikpunkt an der Konstruktion der EU: Wir brauchen eine echte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, ein Europa, das eigene Ziele definiert, eigene Interessen durchsetzt und das mit einer Stimme spricht. Im Moment wird das halbwegs durch die NATO kaschiert, aber wenn wir langfristig denken, müssen wir ein europäisches Sicherheitskonzept entwickeln, das möglicherweise auch unabhängig von den Vereinigten Staaten von Amerika funktionieren kann. Ein Außenbeauftragter, sozusagen Behelfsaußenminister, ist da nicht ausreichend. Wir brauchen einen echten Außenminister, der im Zweifel auch dem Parlament gegenüber Rechenschaft ablegen muss.
Die Donaumonarchie gilt vielen als Blaupause eines Vielvölkerstaates, ist aber nicht zuletzt daran gescheitert. Wie realistisch sind für Sie die Vereinigten Staaten von Europa heute?
Ich bin kein besonderer Fan der Vereinigten Staaten von Europa, wenn es in einer Art und Weise gemeint ist, wie die Vereinigten Staaten von Amerika funktionieren. Das können wir nicht einfach kopieren. Ein geeintes Europa kann nach meiner Vorstellung nur eine Konstruktion sui generis sein. Was natürlich nicht heißt, dass wir nicht gut funktionierende Elemente aus Geschichte und Gegenwart entlehnen könnten. Der Gründer der Paneuropa-Union, Richard Coudenhove-Kalergi, hat in den 1920er-Jahren auch gerne die Schweiz als Beispiel genannt, aus der man positive Aspekte ziehen kann.
Den Schweizern dürfte Bern näher sein als den Europäern Brüssel ...
Ja, viele Bürger haben das Gefühl, dass Brüssel fern und die von dort kommenden Entscheidungen abgehoben sind. Aber genau deshalb ist es so wichtig, dass das im Maastrichtvertrag klar verankerte Subsidiaritätsprinzip auch ernstgenommen wird. Es darf nicht sein, dass vonseiten der EU oder der Nationalstaaten irgendwelche Brosamen fallen gelassen werden. Subsidiarität ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein Gesellschaftsprinzip, das von unten nach oben aufbaut, und zwar basierend auf der Familie, den Kommunen und den Regionen. Nur dort, wo die kleinere Einheit keine zufriedenstellenden Lösungen herbeiführen kann, darf die größere übernehmen. Dieser Aspekt, der ja aus der christlichen Soziallehre stammt, war mir immer extrem wichtig.
Würden Sie sagen, dass das de Gaulle'sche Modell des Europas der Vaterländer noch eine Chance hat?
Bei aller Bewunderung für de Gaulle glaube ich nicht, dass das in der Form noch funktioniert. Dafür hat sich die Union doch schon sehr weit von ihrem Ursprung wegentwickelt. Sie kennen vielleicht das Schlagwort der Ever-closer-Union. Wie gesagt, ich würde eher auf ein konsequent umgesetztes Subsidiaritätsprinzip setzen.
Theodor Heuss sah Europa gegründet auf den drei Hügeln Golgatha, Akropolis und Kapitol. Wie sehr trägt dieses Fundament heute noch?
Für die Gründerväter der Union war das christliche Fundament ebenso klar wie für die Väter des deutschen Grundgesetzes. Dadurch, dass es in der Europäischen Union wirtschaftlich zumeist sehr gut funktioniert hat, sind vielleicht manche Grundprinzipien in den Hintergrund gerückt und der Fokus stark auf den ökonomischen Aspekt gelegt worden. Was uns aber ausmacht, dürfen wir nicht vergessen.
Als Ihr Vater nach dem Zweiten Weltkrieg zurück nach Europa kam, glaubte er, beim Landeanflug die Seele Europas zu erblicken. Städte, in deren Zentren keine Wolkenkratzer von Banken oder Konzernen stehen, sondern Kathedralen. Hat das Christentum in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft noch die Kraft, identitätsstiftend zu wirken?
Ja, das glaube ich. Natürlich bin ich unglücklich, wenn ich gewisse gesellschaftspolitische Entwicklungen sehe. Aber das christliche Menschenbild ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Das ändert sich auch nicht durch Kirchenaustritte.
Wie man nach dem Tod der englischen Königin sehen konnte, hat die Monarchie auch heute noch eine gewaltige Anziehungskraft. Gleichzeitig ist aber in den sozialen Medien ein Sturm losgebrochen, der die Abschaffung gefordert hat. Was würden Sie sagen, wie zeitgemäß Monarchien heute noch sind?
Wer behauptet, die Monarchie sei eine Staatsform der Vergangenheit, kann das Begräbnis von Königin Elisabeth nicht gesehen haben. Aber davon abgesehen: Monarchie ist genauso wie jede andere Staatsform nicht zeitgebunden. Es ist einfach eine Staatsform, die funktioniert und auch immer wieder ihren Wert bewiesen hat. Nicht nur Großbritannien ist ein gutes Beispiel dafür, auch Spanien. Denken Sie an König Juan Carlos, der das Land aus der Diktatur in eine Demokratie geführt und letztendlich den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft bewirkt hat.
Kulturpessimisten sehen im Verlust von Traditionen und Wurzeln die Ursache von Verfall und Dekadenz. Wie sehen Sie das?
Ja, das ist das Prinzip des „Rise and Fall of the Roman Empire", das man dann versucht, auf unsere Gesellschaft anzuwenden. Das mag uns auch als Warnung gelten. Traditionen, die sich als wertvoll herausgestellt haben, dürfen wir nicht achtlos über Bord werfen. Es lohnt sich, sie zu pflegen und immer wieder neu mit Leben zu füllen. Ich sehe jetzt aber auch keine unmittelbaren Anhaltspunkte, dass unsere Gesellschaft vor dem Untergang steht. Im Gegenteil: Ich glaube, dass unsere Grundprinzipien funktionieren. Und am Beispiel der enormen Unterstützung der westlichen Staaten für die Ukraine zeigt sich auch, dass unsere Wertvorstellungen verteidigungsfähig sind.
Nun gehören Sie ja einer der ältesten Familien Europas an. Was glauben Sie denn, wie es gelingen kann, in Familien, aber auch ganz allgemein in Organisationen Werte, Traditionen, einen Ethos von der Gemeinschaft von Generation zu Generation weiterzugeben?
Ich stehe natürlich vor genau der gleichen Frage wie schon unzählige Generationen vor uns. Von meinen Eltern habe ich in dem Sinne nie den erhobenen Zeigefinger gesehen. Sie haben immer versucht, mich in meinen Interessen zu unterstützen, aber gleichzeitig auch auf das historische Umfeld zu verweisen, in dem wir uns bewegen. Mein Vater hat immer gesagt: „Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß auch nicht, wohin er geht. Weil er nicht weiß, wo er ist." Um ein Bewusstsein für unsere Wurzeln und unsere Werte weiterzugeben, müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen, dieses wertvolle Gut pflegen und lebendig erhalten. Gelingt uns das, wird auch in Zukunft der Wert darin geschätzt werden. Das gilt nicht nur für Familien mit einer langen Tradition, sondern auch für Organisationen und unsere Gesellschaft.
Sie sind ja oberster Bandinhaber der Katholischen Österreichischen Landsmannschaften (KÖL) und Ehrenmitglied zahlreicher CV-Verbindungen. Leben Sie Ihre farbenstudentische Identität, und was bedeuten Ihnen die Korporationen?
Ich habe diese besondere studentische Kultur von frühester Jugend miterlebt, nicht zuletzt natürlich durch meinen Vater. Ich durfte in diesen Kreisen viele Menschen von herausragendem Format kennenlernen. Was mir besonders in Erinnerung bleiben wird, sind die Begegnungen mit und Geschichten von Verbindungsstudenten, die in schwierigsten Zeiten für ihre Prinzipien eingestanden sind und im Zweiten Weltkrieg dafür sogar ins KZ kamen. Das hat mir früh gezeigt, dass das offensichtlich ein richtiger Lebensentwurf ist, aber auch, dass es sich hier um ein Fundament handelt, auf dem man sehr gut aufbauen kann.
In Österreich gilt der Adel offiziell seit 1919 als abgeschafft, aber die Netzwerke existieren bis heute. Was würden Sie sagen, welche Bedeutung die alten Familien im heutigen Österreich noch haben?
Es gibt schon viele von den alten Familien, die noch Einfluss haben. Aber für mich hängt Adel nicht prinzipiell vom Namen ab. Adel ist etwas, das im Geist verankert ist und das man dann nach außen tragen muss. Wenn jemand das historische Bewusstsein hat und das auch noch mit einem Namen verbinden kann, dann ist es umso wichtiger, dass er in der Öffentlichkeit ein gutes Beispiel abgibt und entsprechend auftritt.
Die Positionierung der Chefs ehemaliger Herrscherhäuser ist ganz unterschiedlich. Georg Friedrich von Preußen wird nach der Debatte um die Besitztümer von manchen Kreisen beinahe als Staatsfeind gehandelt. Herzog Franz von Bayern gilt als honorig. Tauschen Sie sich untereinander über so etwas aus?
Natürlich unterhält man sich auch über so etwas bei gewissen Gelegenheiten, aber das ist eher zufällig, nicht institutionalisiert.
Nun ist es ja so, dass die bürgerliche Kultur der vergangenen Jahrhunderte in weiten Teilen eine Kopie des Adels ist, angefangen bei Turmvillen bis hin zu Kleidung und Familienwappen. Was können wir heute noch von der Kultur der alten Familien lernen?
Es ist vor allem dieses langfristige Denken, das in den alten Familien gepflegt wird; das Bewusstsein, dass man in einem größeren Zusammenhang steht. Und natürlich auch, dass es wichtig ist, das, was man an Traditionen und Werten von der vorangegangenen Generationen erhalten hat, zu bewahren und den folgenden weiterzugeben. Dieses Denken gibt es ja nicht nur im Adel, sondern beispielsweise auch in der katholischen Kirche.
Aktuell erleben wir einen überraschenden Hype um Kaiserin Elisabeth. Netflix und RTL feiern mit ihren Sisi-Serien internationale Erfolge. Dann gibt es mit einem Roman sogar einen aktuellen Bestseller. Wie erklären Sie sich die anhaltende Begeisterung für Ihre Vorfahren?
Ich kann dazu wenig sagen, weil ich keine dieser Serien und Bücher gesehen oder gelesen habe. Aber ich glaube ganz allgemein, dass der Mensch ein Bedürfnis nach Kontinuität hat. Und gewisse Namen stehen für diese Kontinuität, die auch in der jahrhundertealten Kultur des Adels zum Ausdruck kommt. Vielleicht kommt aber auch noch eine Portion Romantik und Klatsch dazu.
Die Regisseure der Serie von Netflix haben die rot-weiß-rote Schärpe verbannt, die Uniformen verändert, und bei RTL geht der Kaiser sogar ins Bordell. Wie empfinden Sie so eine Verballhornung der Historie?
Na ja, was man da zu sehen bekommt, mag unterhaltsam sein, aber mit der Geschichte hat das doch recht wenig zu tun. Im besten Fall sind das Dokudramen, im schlechtesten Seifenopern vor historischem Hintergrund. Ich glaube, das ist wichtig, dass man das einmal sagt. Wie ich vor Kurzem mal gelesen habe, muss man bei der Fortsetzung von The Crown nun auch immer davor schreiben, dass es sich um Fiktion handelt.
Als Seifenoper oder Tragikomödie bezeichnen manche die aktuelle politische Landschaft in Österreich. Wie oft sind Sie schon gefragt worden, ob Sie nicht übernehmen können?
Tatsächlich kommt die Frage immer wieder vor. Oft natürlich im Scherz, weil die Leute gerade wieder in Sachen Politik die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Abgesehen davon, dass ich nach wie vor von der österreichischen Verfassung her nicht in der Position bin, gewisse Funktionen zu übernehmen, weiß ich aber auch gar nicht, ob ich das wirklich wollte.